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Alleinsein? Nicht mit mir!

Fotos: Sarah Rubensdörffer
Fotos: Sarah Rubensdörffer
Ausgabe 4 / 2021 Ausgabe als PDF speichern

Über Einsamkeit spricht niemand gern. Aber gerade bei älteren Menschen schleichen sich Tage ein, an denen es abgesehen von „Danke“, „Bitte“ und „Tschüss“ im Supermarkt still bleibt. Wir treffen Menschen, die dem Alleinsein ein Schnippchen schlagen.

Über Einsamkeit spricht niemand gern. Aber gerade bei älteren Menschen schleichen sich Tage ein, an denen es abgesehen von „Danke“, „Bitte“ und „Tschüss“ im Supermarkt still bleibt. Wir treffen Menschen, die dem Alleinsein ein Schnippchen schlagen.

 

Angela Schütt hat sich für eine große Hausgemeinschaft entschieden

„Irgendwann werden die Freunde weniger und es kommen keine neuen mehr hinzu“, sagt Angela Schütt ganz trocken. Sie wollte sich nicht abfinden mit langen, trüben Nachmittagen allein. Deshalb ist sie 2017 in das Nachbarschaftsprojekt „LeNa – Lebendige Nachbarschaft“ der SAGA in Steilshoop gezogen. In der Fehlinghöhe wohnen Ältere in Zweizimmerwohnungen – eine große Hausgemeinschaft plus Nähstube, Fitnessraum und Bibliothek inklusive. „Hier muss niemand allein sein“, sagt Angela Schütt. An den Nachmittagen trifft sie sich zum Klönen oder spaziert mit anderen um den Bramfelder See. Einziges Manko: Veranstaltungen in den beiden Gemeinschaftsräumen laufen wegen Corona immer noch mit angezogener Handbremse.

Vor der Pandemie wurde hier zusammen gekocht, getanzt, gemalt, gefeiert, Nintendo Wii gezockt und Bingo gespielt. Am Abend gab es Filme, im Advent haben die Älteren mit den Lütten aus dem Kindergarten nebenan Plätzchen gebacken. Organisiert wird alles von den Bewohnern selbst. Angela Schütt schmeißt mit zwei anderen Frauen an drei Tagen pro Woche das Nachbarschaftsbüro. Wer jemanden zum Fensterputzen sucht, fragt dort nach. Die Anlaufstelle schiebt auch Ideen an, was man zusammen machen kann. Im Keller lagern schon Hochbeete, die im nächsten Frühjahr auf die Terrasse kommen.

„Ich finde es toll, hier zu leben“, sagt Angela Schütt. Auch Marina Hoppe hat sie hier kennengelernt. Bis zur Corona-Pandemie ist sie im LeNa-Haus ein- und ausgegangen, um einen Zauberkurs und einen Malnachmittag für Kinder zu organisieren. Weil in den Gemeinschaftsräumen weiterhin strenge Kontaktbeschränkungen gelten, bietet Marina Hoppe ihr neues Projekt – einen Bastelabend – nun im Stadtteiltreff an, der direkt gegenüber liegt vom LeNa-Projekt. Hier treffen sich zwei Mal pro Woche Bastelfans, um zusammen aus Knete kleine Kunstwerke zu formen. Warum sich Marina Hoppe für die Gemeinschaft stark macht? „Meine Kinder wollten einen Malkurs besuchen. Aber weil es in Steilshoop kein Angebot gab und ich mit meinem Baby nicht mobil war, habe ich das selbst in die Hand genommen.“ Die Mutter von drei Kindern wuppt das Ehrenamt zusätzlich zu ihrer Arbeit: „Dinge zu bewegen – das gibt mir neue Energie.“

Siegfried Krause: „Ich habe mich nie für Computer interessiert, aber jetzt bin ich froh, per Whatsapp und E-Mail in Verbindung zu bleiben.“ 

Unterwegs zu sein, das wünscht sich auch Siegfried Krause. Aber nach einem langen Berufsleben als Konditor spielen die Knie nicht mehr mit und schon die Treppen aus seiner Wohnung im zweiten Stock sind eine große Hürde. Seine Nachbarschaft in Winterhude ist spitze. Müll runterbringen, Post hochholen, Lebensmittel einkaufen, Glühbirne wechseln – für alles finden sich tatkräftige Hände. Und die Nachbarn freuen sich jemanden zu haben, der weiß, wie eine Buttercreme gelingt. Mit dem Nachwuchs im Haus zaubert er an Weihnachten Hexenhäuser, zu Ostern werden Hefezöpfe gebacken. Kommuniziert wird über kurze Nachrichten per Whatsapp: „Ich habe mich nie für Computer interessiert, aber jetzt bin ich froh, per Whatsapp und E-Mail in Verbindung zu bleiben.“

Möglich gemacht haben das Ehrenamtliche, die ihm gezeigt haben, welche Möglichkeiten die digitale Welt bietet. Den Kontakt hat er über Alena Neven vom Projekt QplusAlter, das Menschen in Hamburg-Nord dabei unterstützt selbstständig in ihrem Quartier zu leben: „Einsamkeit ist bei vielen alten Menschen ein großes Thema, oft ist das aber sehr versteckt. Wir versuchen immer individuelle Lösungen zu finden, Patentrezepte gibt es nicht.“ Siegfried Krause wünscht sich eine barrierefreie Wohnung, so dass er wieder mobiler wird. Bis dahin ist das Internet eine wichtige Krücke für ihn. Für seine Tochter in Bonn besorgt er online Parfüm zum Geburtstag. Über nebenan.de und eBay verkauft er für kleines Geld seine alten Kameras, Kaminuhren und Asterix-Hefte. „Es macht Spaß anderen eine Freude zu machen. Wenn jemand etwas abholt, gibt‘s oft noch einen netten Schnack dazu. Allen, die körperlich eingeschränkt sind, kann ich die elektronische Kommunikation nur empfehlen.“

Wilhelm Simonsohn bekommt Besuch von seinem Medienboten

Für Wilhelm Simonsohn kommt elektronische Kommunikation nicht in Frage. Er ist 102 Jahre alt, lebt in seiner eigenen Wohnung, aber die Augen, die Ohren, die Beine und das Herz lassen nach. Einmal pro Woche bekommt er Besuch von seinem Medienboten Gerd Reimers. Die beiden kennen sich seit zwölf Jahren über das Projekt der Bücherhallen Hamburg, bei dem Ehrenamtliche Menschen, die nicht mehr mobil sind, mit Lesestoff versorgen. Gerd Reimers erzählt vom Projekt: „Die meisten Tandems treffen sich alle drei, vier Wochen. Das Schöne ist, dass alles individuell vereinbart werden kann. Manche machen nur eine kurze Übergabe der Bücher. Andere lesen vor, manche klönen zusammen. Für die Kunden kostet es 15 Euro – die Jahresgebühr der Bücherhallen. Und wenn jemand knapp bei Kasse ist, erlassen wir das ganz unbürokratisch.“

Zum Vorlesen hat Gerd Reimers keine Zeit, wenn er Wilhelm Simonsohn besucht. Es gibt einfach zu viele aktuelle Themen, die besprochen werden wollen. Seien es die Entwicklungen in Afghanistan, die jüngsten Spiele des HSV oder Wilhelm Simonsohns Besuche bei Demos von Fridays for future mit seinen Töchtern und Enkeln. „Wenn Sie genug Zeit haben, können Sie tagelang druckreife Geschichten hören“, sagt Gerd Reimers. Zum Beispiel wie Wilhelm Simonsohn als Kind eines jüdischen Adoptivvaters aus der Hitlerjugend austrat – weil er dort beschimpft wurde, über seine Zeit als Flieger im Zweiten Weltkrieg oder über seine Erlebnisse in Schulen, wo er als Zeitzeuge für Frieden und die europäische Idee eintritt.

Das Lesen hat ihn ein Leben lang begleitet: „Oft war meine Frau gar nicht begeistert, dass ich abends im Bett immer ein Buch vor der Nase hatte. Für mich ist das meine geistige Schlaftablette und ich bin immer gut damit gefahren.“ Heute hört er CDs, weil die Augen das Lesen nicht mehr schaffen. Jede Woche hat Gerd Reimers sieben, acht CDs im Gepäck. Am liebsten hört sein Freund Simonsohn historische Stoffe, Biografien, aber auch die großen Erzähler wie Proust, Tolstoi oder Dostojewski. Die Medienboten haben einen Bestand von rund 3.000 Medien – vom Sachbuch über den Krimi, das Hörbuch bis zum Großdruckroman. In einem Katalog können sich die Kunden ihren Lesestoff aussuchen oder die Boten übernehmen die Auswahl.

Wilhelm Simonsohn sagt: „Für mich ist das Projekt meine Versorgung mit geistiger Nahrung.“ Manchmal geht er schon um 21 Uhr ins Bett, weil er sich so sehr auf die Fortsetzung der CD freut, die auf seinem Nachttisch liegt. Dass er jemanden wie Simonsohn kennenlernen würde, damit hat Gerd Reimers nicht gerechnet als er sich nach seiner Pensionierung als Richter ein Ehrenamt gesucht hat: „Auch für mich sind die Medienboten eine wunderbare Erfahrung und die Treffen mit Herrn Simonsohn ein echter Gewinn.“

 

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