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Helfende Hände: Freiwillig für Hamburg

Foto: Cécile Ash
Foto: Cécile Ash
Ausgabe 1 / 2023 Ausgabe als PDF speichern

Von Duvenstedt bis Kirchwerder, von Rissen bis Rahlstedt: In allen Hamburger Quartieren engagieren sich Menschen für andere. Sie lotsen Geflüchtete durch den Behördendschungel, verteilen Lebensmittel an Menschen mit wenig Geld und tischen hungrigen Schulkindern ein Frühstück auf. Sie sind der Kitt in unserer Gesellschaft – gerade in schwierigen Zeiten.

Mit vollem Elan – Für die gute Sache starkmachen

„Hier fragt keiner, wer du bist und wo du herkommst. Papp dir ein Namensschild an – und los gehts“, lautet die herzliche Begrüßung bei Hanseatic Help, wo meine Recherche zum Thema freiwilliges Engagement beginnt. Der Verein hat es sich zur Aufgabe gemacht, Menschen in Not mit Lebenswichtigem zu versorgen – vom Schlafsack über die Unterhose bis zum Kinderwagen. Am Anfang macht eine Helferin mit mir eine kleine Tour durch die Halle in der Großen Elbstraße, in der Nähe des Fischmarkts. Hier stapeln sich bestens geordnet Windeln, Isomatten, Jogginghosen, Winterjacken, Turnschuhe, Schulranzen und vieles mehr. Nach der Führung wird nicht mehr geredet, sondern rangeklotzt: In der Spendenannahme türmen sich Kisten mit gespendeter Kleidung, die sortiert werden muss. Ich schnappe mir eine und stoße zu drei Gleichgesinnten, die an langen Tischen arbeiten. Winterjacken, Shirts, Pullover, Hoodies, Hemden, T-Shirts, lange und kurze Hosen von Größe S bis XXL – für alles gibt es ein passendes Fach. Dort hinein kommen auch der kuschlige Fleecepulli, die weichen Wollhandschuhe und die vielen anderen Dinge, die durch meine Hände gehen. Über die Sachen freuen sich bestimmt Hilfsbedürftige hier in Hamburg oder Menschen in Krisengebieten.

FÜR JEDES TALENT FINDET SICH EIN EINSATZFELD

Zeit darüber nachzudenken, wie ungleich das Glück in unserer Welt verteilt ist, bleibt kaum. Rollwagen mit gepackten Kisten für Hilfstransporte rattern herum, dann wird jemand zum Abladen einer Spendenladung Decken gesucht, es ist trubelig. Mit mir sortiert Parmis Khajehcoolacky, die seit der Vereinsgründung 2015 Feuer und Flamme für Hanseatic Help ist: „Damals kamen Zehntausende Geflüchtete nach Hamburg, die Not war nicht zu übersehen.“ Etwas für diese Menschen zu tun, das war damals ihr Ziel – und ist es noch immer. Heute begleitet sie Menschen mit Behinderungen oder seelischen Erkrankungen, die bei Hanseatic Help anpacken wollen. Hier ist Platz für alle, für jedes Talent findet sich etwas. Freiwillige packen Spenden in Kartons, steuern Hilfstransporte, füttern Instagram- und Facebook-Kanäle oder sammeln im Sommer liegengelassene Zelte und Schlafsäcke auf Festivals ein.

„Hanseatic Help ist fest in meinen Alltag integriert“, sagt Parmis Khajehcoolacky. Und damit ist sie nicht allein. Rund 35 Prozent der Hamburgerinnen und Hamburger engagieren sich für ihre Herzensthemen. Und solche Herzensthemen gibts viele: im Sportverein Kinder für das Turnen begeistern, am Gericht über Schuld und Unschuld mitentscheiden oder den Hamburger Duschbus durch die Stadt fahren. Wer sich in Hamburg engagieren will, der findet etwas.

HAMBURGER FREIWILLIGENAGENTUREN VERMITTELN PASSGENAU

Dr. Michaela Giesing ist fündig geworden – bei der Sütterlinstube Hamburg. Sie überträgt Briefe, Tagebuchaufzeichnungen, Urkunden oder auch Kochbücher aus den früheren deutschen Standardschriften Sütterlin und Kurrent in unsere lateinische Schrift von heute. Zwischen 300 und 400 Aufträge aus aller Welt bekommen die etwa 50 Freiwilligen der Sütterlinstube jedes Jahr: „Manche Aufträge gehen unter die Haut“, erzählt Michaela Giesing. „Einmal hatte ich einen Brief einer Frau, die ihrem Mann an der Front von der Geburt des gemeinsamen Kindes berichtete. Das war sehr besonders.“ Schon als Kind hat sich Michaela Giesing für Schrift interessiert und sich Sütterlin kurzerhand selbst beigebracht. Im Ruhestand wollte sie neue Kontakte knüpfen, ihr Wissen weiter einbringen und auch weiter lernen. All das bietet ihr die Sütterlinstube, wo manche Übersetzung Detektivarbeit gleicht: „Manchmal tauchen Worte auf, die in Vergessenheit geraten sind, oder Namen von Städten, die heute anders heißen. Hinter unserer Arbeit steckt jede Menge Recherche, ich habe Einblick in so viele Themen.“

Tolle Projekte gibt es viele. Elf Freiwilligenagenturen beraten in Hamburg zum passenden Engagement. Es gibt sogar Kurse: „Menschen, die sich noch nicht sicher sind, ob ein freiwilliges Engagement das Richtige ist, können hier ihre Fragen loswerden. Für viele ist es wichtig zu wissen, dass sie sich mit einem Einsatz nicht jahrelang binden müssen“, erklärt Annerose Wallys von altonavi, der Freiwilligenagentur in Altona. Oft kommt es vor, dass Menschen bestimmte Anforderungen haben, zum Beispiel nur am Wochenende Zeit haben. Gerade dann lohnt der Kontakt zu den Freiwilligenagenturen, sie vermitteln passgenau.

Ein eigenes Projekt haben die Freiwilligenagenturen auch im Programm: „Da nich‘ für. Deine Nachbarschaftshilfe“. Es eignet sich besonders für Leute, die gern etwas tun wollen, aber keine Zeit für regelmäßige Termine haben. Die Freiwilligen der Nachbarschaftshilfe sind im Notfall zur Stelle – wenn jemand krank zu Hause ist und ein Medikament aus der Apotheke benötigt oder wenn jemand zwei zusätzliche Hände für den Zusammenbau eines neuen Möbelstücks braucht. Und so gehts: Problem bei der Hotline der Freiwilligenagenturen melden und eine Helferin oder einen Helfer vermittelt bekommen.

EGAL OB REGELMÄSSIGER ODER SPORADISCHER EINSATZ – ES GEHT AUCH UM DEN SPASS

Spontan und ohne lange Verpflichtung – so kann freiwilliges Engagement funktionieren. Es geht aber auch anders. In der Onlinebörse der Freiwilligenagenturen finden sich auch jede Menge Patenschaften, die auf regelmäßige Treffen angelegt sind. So etwas wollte Imke Behr machen. Die frühere Bibliothekarin ist aktiv beim Verein „Mentor – Die Leselernhelfer Hamburg“ und begeistert Kinder für die Welt der Buchstaben. Einmal pro Woche trifft sie sich mit der neunjährigen Sham in deren Grundschule. Das Mädchen ist mit fünf Jahren aus Syrien nach Hamburg geflüchtet, sie nutzt die Zeit auch, um an ihrem Deutsch zu feilen. Es wird gelesen, gerätselt, gespielt und die beiden erzählen sich von ihren Träumen. Imke Behr schwärmt: „Sham ist so wissbegierig und interessiert. Zusammen arbeiten wir an ihrem großen Traum – eines Tages Lehrerin zu werden. Es ist eine große Freude, diesen Weg mit ihr zu gehen.“ Sham ist das vierte Lesekind von Imke Behr.

Ihr erstes Kind hat sie noch drei Jahre nach der Mentor-Lesepatenschaft begleitet, sie trafen sich weiter, um zusammen Hausaufgaben zu machen: „Das war richtig toll.“ „Bei solchen Patenschaften ist es ganz wichtig, dass der persönliche Draht stimmt“, sagt Annerose Wallys. Deshalb gibt es anfangs Kennenlerntermine, das sei wichtig für beide Seiten. Übrigens: Mobil zu sein ist nicht zwingend Voraussetzung für die gute Sache: „Corona hat auch das freiwillige Engagement ins Digitale geschubst“, erklärt die Expertin. Interessierte können in der Angebotsbörse auf der Website der Freiwilligenagenturen auch gezielt nach Online-Engagements suchen. Das geht vom Schreiben von Blogs bis hin zur digitalen Nachhilfe. Ob von zu Hause oder vor Ort, regelmäßig oder sporadisch – den „Spaßfaktor“ haben alle Projekte gemeinsam, sagt Annerose Wallys: „Viele Leute trauen sich nicht, das anzusprechen, aber natürlich geht es beim Ehrenamt immer auch um den Spaß. Und genau so soll es sein.“

TEXT: Andrea Guthaus

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