Schließen
Aktionen

Spielzeit! Eine Kultur-Tour durch Hamburg

Feinschliff: Maskenbildnerin Maria Heidemann bringt Marie Stieper als Schlange Kaa zum Glitzern | Foto: Mike Schaefer
Feinschliff: Maskenbildnerin Maria Heidemann bringt Marie Stieper als Schlange Kaa zum Glitzern | Foto: Mike Schaefer
Ausgabe 3 / 2023 Ausgabe als PDF speichern

Im Winter werden die Tage nicht kürzer und grauer, sondern die Nächte länger und bunter: Es ist die Saison der Kinos, Clubs und Bühnen. Doch wie geht es der Kulturszene in Hamburg? Wir haben nachgefragt.

Vorhang auf für die Kultur

Es summt wie im Bienenstock. Im großen Saal des Altonaer Theaters bekommt ein Bühnenbild mit goldenem Vorhang seinen letzten Feinschliff. Es gehört zu dem erfolgreichen Beatles-Musical „Backbeat“, das hier seit Anfang September aufgeführt wird. In der Werkstatt werkeln Schneiderinnen und Tischler an den Kostümen und Requisiten für das Stück „Das Dschungelbuch“. Junge Schauspielerinnen und Bühnenarbeiter wuseln durch die Gänge. Nur in der Maske ist es ruhig. Hier sitzt Schauspielerin Marie Stieper und lässt sich in die Schlange Kaa verwandeln. „Das ist nur eine von vier Rollen, die ich im Dschungelbuch spiele“, sagt die 23-Jährige.

Am 2. Dezember feierte das Kinderstück Premiere, es wird bis zum 20. Dezember 2023 mehr als 30-mal gezeigt. Für Marie Stieper war es eine doppelte Premiere: „Gerade habe ich noch meine Prüfung an der Schauspielschule gemacht und jetzt probe ich schon für mein erstes Engagement.“ Ihre Freude ist spürbar. „Kinder sind ein besonderes und sehr ehrliches Publikum. Sie fiebern richtig mit. Das macht großen Spaß.“ Geprobt hat Marie Stieper heute im Altonaer Theater – gezeigt wird das „Dschungelbuch“ aber am Harburger Theater. Beide gehören ebenso wie das Lichtwark-Theater in Bergedorf und die Kammerspiele in Rotherbaum zum Theaterbetrieb Stäitsch. Als Privathäuser müssen sie besonders wirtschaftlich arbeiten. Das ist in einer Stadt wie Hamburg mit ihrem großen Kulturangebot nie einfach. Hier hat das Publikum die Qual der Wahl. In den vergangenen Jahren kam dann noch Corona hinzu und alle Theater mussten genauso schließen wie Musikclubs, Kinos oder Museen.

„HERBST UND WINTER SIND BESTE THEATERZEIT“

Jetzt kommt der erste Winter nach Corona und alle Veranstalter, Schauspieler und andere Kulturschaffende hoffen, dass ihr Publikum wiederkommt. „Herbst und Winter sind die beste Theaterzeit“, sagt Axel Schneider, Geschäftsführer von Stäitsch und „Multi-Intendant“ an allen vier Häusern. Er hofft nicht nur auf viele Zuschauer, er tut auch einiges dafür. „Die Menschen wählen selektiver aus, entscheiden sich bewusst für Highlights, für große Namen und bekannte Stoffe.“ Das versucht Schneider seinem Publikum zu bieten.

In der vergangenen Spielzeit war die Theaterfassung des Romanbestsellers „Achtsam morden“ ein solcher Publikumsrenner. Alle Aufführungen waren ausverkauft. Deshalb ist das Stück im Herbst wieder angelaufen und wird auch in Bergedorf gezeigt. Viel verspricht sich Axel Schneider auch von „Gott“, einem Stück nach dem gleichnamigen Drama des Bestsellerautors Ferdinand von Schirach, bei dem Axel Schneider Regie führt und das noch bis zum 17. Februar 2024 in Bergedorf gezeigt wird.

Ein Highlight wird auch die Bühnenadaption der Krimi-Hörspielreihe „Die drei ???“. Nächstes Jahr startet mit „Signale aus dem Jenseits“ eine neue Produktion, zu der Axel Schneider selbst das Drehbuch geschrieben hat. „Als einziges Theater in Deutschland haben wir die Rechte an den Büchern“, so Schneider. Fast jedes Jahr kommt eines der beliebten Bücher auf die Altonaer Bühne. „Start ist im März. Das machen wir bewusst so für Familien, die nicht in die Skiferien fahren können.“ Reduzierte Karten gibt es schon ab 16 Euro. Kultur muss nicht teuer sein.

VOLLE ELPHI – LEERE CLUBS

Ähnliche Erfahrungen wie die Privattheater haben auch die großen städtischen Bühnen und Museen gemacht. Gerade die Elbphilharmonie oder die Kunsthalle sind ganzjährig nachgefragte Touristenmagneten, und so wie sich die Zahl der Hamburg-Urlauber nach dem coronabedingten Einbruch erholt hat, lief es bei „Elphi“ und Co. in diesem Jahr richtig gut. Laut Enno Isermann, Pressesprecher der Kulturbehörde, lagen die Besucherzahlen im ersten Halbjahr 2023 über denen von vor 2019. „Dort werden wir dieses Jahr das Vor-Corona-Niveau wohl wieder erreichen oder sogar übertreffen. Das ist sehr erfreulich!“

In der Kulturbehörde hat man festgestellt, „dass jene Veranstaltungen wieder als Erste sehr gut besucht waren, die man nur einmalig erleben kann, wie Konzerte und Festivals. Dies mag den Besucherinnen und Besuchern gezeigt haben, wie großartig es ist, Kultur in Gemeinschaft zu erleben, so dass nun auch die laufenden Programme wieder gut besucht sind.“ Sorgen bereiten der Behörde aber die Veranstaltungen für ein jüngeres Publikum. „Musikclubs hatten offenbar länger Probleme, das Publikum zurückzugewinnen, da hier zwei ganze Jahrgänge erst mal ganz neu erleben mussten, wie toll es ist, abends in einen Club zu gehen“, so Enno Isermann.

Während im Altonaer Theater beim Musical „Backbeat“ an die wilden Anfangsjahre der Beatles auf den kleinen Musikbühnen auf dem Kiez erinnert wird, machen die Clubs dort heute schwere Zeiten durch. Hunderte Konzerte gaben die Pilzköpfe in den 1960ern in legendären Clubs wie dem Indra, dem Kaiserkeller oder dem Top Ten Club und wurden so vom Publikum entdeckt.

VIELFALT DER CLUBS IST BEDROHT

„Bis heute verfügt Hamburg mit seinen vielen kleinen Live-Musikclubs über einen riesigen Schatz. Fast jeden Tag kann man dort etwas Neues entdecken“, sagt Thore Debor, Geschäftsführer des Clubkombinats, einem Interessensverband der Clubbetreiber und Veranstalter in Hamburg. „Aber diese Vielfalt ist bedroht“, so Thore Debor. „Gerade kleine Clubs haben zu kämpfen.“ Zu den großen Festivals und Stadionkonzerten von Stars wie Metallica sind im Sommer wieder zehntausende Musikfans geströmt, aber bei den kleineren Clubs sind die Besucherzahlen aktuell rückläufig.

Über die Gründe kann Thore Debor nur spekulieren. Aber für ihn ist klar: „Ein Clubbesuch ist immer ein Erlebnis. Dort kann man in Musik versinken, Sorgen hinter sich lassen und sich in Gemeinschaft mit anderen als Mensch spüren. Nur die kleinen Konzerte, wo man die Künstler ganz nah sieht statt weit entfernt auf der Leinwand, bieten diese Möglichkeit.“ In kleinen Clubs können – wie damals bei den legendären Beatles-Auftritten – auch heute noch neue und unbekannte Künstler entdeckt werden, die auf den Bühnen zu Superstars reifen.

Thore Debor empfiehlt dazu den Veranstaltungskalender auf der Website oder die „Clubplan“-App vom Clubkombinat. „Dort sind auch kleine Events aufgeführt, die sonst schwer zu finden sind.“ Selbst unter der Woche gibt es ständig Konzerte, Lesungen oder Stand-up-Comedy in Clubs und Musikkneipen auf dem Kiez, aber auch im Brakula in Bramfeld, in der Honigfabrik in Wilhelmsburg, dem Stellwerk in Harburg oder einer der vielen anderen Locations in den verschiedenen Stadtteilen. Hamburgs Nachtleben ist eben nicht nur Reeperbahn.

FILME AUF GROSSER LEINWAND GUCKEN

Für Kinobetreiber waren die vergangenen Jahre ebenfalls nicht immer leicht. Der Boom der Streamingdienste von Netflix bis Disney und die Corona-Krise haben Filmfreunde vom Gang ins Kino abgehalten. Daher hat sich nicht nur Matthias Elwardt, Geschäftsführer der wunderschönen Zeise Kinos in Ottensen, über den riesigen Erfolg von „Barbie“ und „Oppenheimer“ im Sommer gefreut. „Sonst schwächeln Kinos ja immer in den Sommermonaten.“ Aber beide Filme waren nicht nur beim Publikum beliebt, sondern auch bei Kritikerinnen und Kritikern und wurden in den Medien viel besprochen. „Beide Filme haben dazu beigetragen, das Kino allgemein wieder ins Bewusstsein der Menschen zu bringen. Endlich wurde wieder über Filme geredet.“

Matthias Elwardt hofft auf eine „Initialzündung“ für den Herbst und Winter, der auch für die Filmtheater die beste Jahreszeit ist. „Da kommen auch dieses Jahr richtig viele gute Filme! Auch viele deutsche Kinderfilme, darunter ‚Die langweiligste Schule der Welt‘ oder eine Neuverfilmung von ‚Das fliegende Klassenzimmer‘, beide mit großem Staraufgebot.“ Erwachsenen Kinogängern empfiehlt der Zeise-Chef „Killers of the Flower Moon“ von Meisterregisseur Martin Scorsese.

Ohnehin ist Matthias Elwardt recht optimistisch, was die Rückkehr des Publikums ins Kino angeht. „Kino ist ein besonderer Ort. Es ist toll, einen Film gemeinsam zu erleben auf großer Leinwand und in der Atmosphäre, die nur das Kino bietet, und danach in einer Kneipe bei einem Bier darüber zu sprechen.“ Auch für einen romantischen Abend zu zweit bieten sich das Kino mit einem „Date-Movie“ an, findet Matthias Elwardt. Nach kurzem Nachdenken fallt ihm noch ein weiteres Argument für das Filmtheater ein: „Richtig gutes Popcorn gibt es nur im Kino.“

TEXT: Rainer Müller

Ausgabe als PDF speichern